„Model United Nations? Über aktuelle politische Themen diskutieren? Und auch noch im Anzug! Pfui! Das sind doch bestimmt nur ein paar Wichtigtuer und Möchtegern-Technokraten.“

Das könnten viele Jugendliche denken, wenn sie zum ersten Mal über Model United Nations (MUN) Projekte oder Konferenzen hören. Man sitzt da in irgendwelchen stickigen Hallen, versucht ewig langen, langweiligen Reden zu folgen und diskutiert über irgendwelchen Kram, den niemanden interessiert.

Doch wer so denkt, der irrt. Und Ende Februar hatten wir, der neugegründete MUN-Club unserer Schule, endlich die Gelegenheit, am eigenen Leibe zu erfahren, wie eine MUN-Konferenz abläuft und uns aktiv an ihr zu beteiligen. Zwischen dem 23.02 und dem 27.02 waren die Mitglieder des MUN-Clubs (8 Schüler aus den Klassen 9 bis 12 und zwei Lehrer, die als advisors, also die Betreuer des Projekts) in Nürnberg, wo wir an der „BayerMUN“ 2017 teilnahmen. Das ist eine alljährlich in Nürnberg stattfindende MUN-Konferenz, an der Schüler und Studenten aus ganz Europa und darüber hinaus teilnehmen. Und dieses Jahr auch eine relativ große Schülergruppe aus Sofia.

Doch nochmal zur Anfangsfrage zurück. Model United Nations? Hä? Was soll man sich darunter vorstellen? Im Grunde sind MUN-Konferenzen Simulationen, in denen die Arbeit der Vereinigten Nationen (UN) zu Bildungszwecken imitiert wird. Sie sind normalerweise für Schüler und Stundeten konzipiert und geben den Teilnehmern einen Einblick in die Arbeitsprozesse der größten internationalen Organisation. Im Allgemeinen richtet sich das Format nach dem Ablauf der Sitzungen der Generalversammlung der UN, obwohl manchmal auch Sitzungen von speziellen Ausschüssen, wie z.B. des Sicherheitsrats, nachgestellt werden. Die „BayerMUN“ beschränkt sich nur auf die Generalversammlung. In einer Konferenz nehmen die Teilnehmer (delegates) die Rolle eines Vertreters eines UN-Staates an und müssen diesen in der Versammlung repräsentieren. Dabei wird genau darauf geachtet, dass die Abläufe und Formalien des reellen Vorbilds, wenn auch in reduzierter Form, eingehalten werden. Dies macht der s.g. „Chair“, also der Vorsitzende der Versammlung, der die Meldungen der Delegierten annimmt und die Konferenz leitet. Ziel ist es, eigenen Ideen zu Lösungsansätzen für Probleme oder Entwicklungsperspektiven zu erarbeiten, Unterstützer für diese zu finden und sie in einer Resolution zu formulieren.

Obwohl unser MUN-Team über die generellen Abläufe Bescheid wusste und diese bereits im Rahmen einer kleinen Probekonferenz im Dezember geübt hatte, waren wir alle sehr gespannt, wie diese im größeren Maßstab umgesetzt werden würden. Allerdings begann die Vorbereitung für die Konferenz Monate vor dem eigentlichen Ereignis. Nach der Wahl der Länder, die wir vertreten würden (wir haben uns für Belgien, Dänemark, Südkorea und Thailand entschieden), fingen wir an über die Positionen und Ziele unserer Länder zu recherchieren. Die Tatsache, dass jedes Land von zwei delegates repräsentiert wurde, erleichterte dies ein bisschen. Die Recherche richtete sich nach den vorgegebenen Themengebieten: Threats to International Peace and Security Caused by Terrorist Acts; Expanding Access to Justice und Eliminating Racial Discrimination, Xenophobia, Related Intolerances and Strengthening Freedom of Religion. Die Ergebnisse unserer Nachforschungen fasten wir in s.g. Position papers zusammen, die allen anderen Teilnehmern zugänglich gemacht wurden. Wir tauschten uns auch untereinander über unsere Positionen aus und kommentierten die Position papers der anderen Delegierten, um vorab ein Bild von den Meinungen der anderen Staaten zu bekommen und eventuell Koalitionen zu schließen.

Ungefähr zwei Monate später war es endlich so weit. Wir machten uns auf dem Weg nach Nürnberg. Auf dem Flieger nach München und später auch nach Nürnberg, begann sich eine gewisse Anspannung und Unruhe zu verbreiten. Wie würde es werden? „Hoffentlich stellen wir uns nicht zu schlecht an“, dachten einige. Die Stimmung legte sich dann, als wir nach ca. 5 Stunden (und nach einem lächerlich kurzen Flug von München nach Nürnberg) unser Reiseziel erreichten. Nürnberg ist eine facettenreiche, spannende und historisch äußerst bedeutsame Stadt. Wir wohnten im Inneren des mittelalterlichen Stadtteils, nur einige hundert Meter von der alten Stadtmauer entfernt. Die Jugendherberge, welche zu einem Kirchenkomplex gehörte, war überraschend modern, obwohl uns die Zimmergröße hin und wieder einige kleinere Probleme bereitete. Da wir den ganzen Tag nichts gegessen hatten, außer den üblichen Snacks, die man im Flugzeug kriegt, machten wir uns gleich nach dem Check-in auf, um etwas Essbares zu finden, was nicht besonders schwierig war. Wieder im Hotel warteten wir auf unseren Tour-Guide, der uns das mittelalterliche Nürnberg zeigen und uns über die Geschichte der zweitgrößten Stadt Bayerns informieren sollte. Besonders interessante Sehenswürdigkeiten waren die St. Sebald Kirche, das Albrecht-Dürer-Haus sowie die alte Kaiserburg, die über Nürnberg thront. Wir erfuhren auch etwas über den Gründungsmythos Nürnbergs. Den Abend ließen wir in einem der berühmten Nürnberger Bierkeller ausklinken, wo wie uns intensiv mit der s.g. „Kneipen-Kultur“ beschäftigten.

Am nächsten Tag, den 24.02 machten wir uns nach dem morgendlichen Frühstück auf demnWeg zu den Konferenzräumen der Jugendherberge, wo vor dem Konferenzbeginn noch ein kurzes Seminar bezüglich der „Rules of Procedure“, etwas wie die Verfahrensordnung der Konferenz, gegeben wurde. Danach erhielten die Delegationen weitere Materialien zur Konferenz sowie ihre „placards“, also die Schilder mit dem Namen der Nationen, das vor allem während den Wahlen von großer Bedeutung sind. Als dies erledigt war, machten wir uns, nun im Anzug, Hosenanzug oder Rock, auf dem Weg zum Tagungssaal, der glücklicherweise nur einige hundert Meter von der Jugendherberge entfernt war. Der Weg dorthin führte vorbei an monumentalen Prachtbauten, modernen Gebäudemanagements und über die Pegnitz, den wichtigsten Fluss Nürnbergs. Obwohl der Heiliger-Geist-Saal Teil eines historischen Spitalkomplexes ist, war das Innere überraschend modern und hell. Bevor die Türen zum Saal geöffnet wurden, sammelten sich alle Delegierten im Foyer, wo Erfrischungen angeboten wurden. Dies gab unserer Delegation die erste Möglichkeit zu „networken“ und Bekanntschaft mit den anderen Teilnehmern zu schließen. Manche nutzen die Gelegenheit, um gleich nach potentiellen „Bündnispartnern“ Ausschau zu halten. Nachdem sich die Türen zum Saal öffneten, war Eile angesagt, da die Sitzplätze nach dem Prinzip „first come, first served“ verteilt wurden. D.h. dass die, welche weiter vorne in der Reihe stehen, auch die besseren Sitzplätze kriegen. Besser in dem Sinn, dass sie leichter vom Chair gesehen und dementsprechend öfter aufgerufen werden.

Als alle ihren Platz fanden, wurden die Gastredner vorgestellt, die vor dem offiziellen Konferenzbeginn einige kurze (einige auch etwas längere) Reden hielten. Dabei wurde mehrmals die Bedeutung der UN und des politischen Engagements der Jugend verwiesen. Besonders beeindruckend war die Rede von Prof Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt, der ehemalige Sonderberichterstatter für Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats, der die enorme Bedeutung der universellen Menschen- und Freiheitsrechte unterstrich. Nach den Reden erklärte der „Generalsekretär“ die Konferenz für eröffnet. Der erste Tagesordnungspunkt, der erledigt werden musste, war die Agenda für die bevorstehenden Diskussionen festzulegen. Dies entscheidet in welcher Reihenfolge die Themen diskutiert werden sollen. Das ist dahin gehend wichtig, als dass die Zeit für die Konferenz nur drei Tage betrug und daher nicht alle Themen im gleichen Umfang diskutiert werden konnten. Deswegen wollten die verschiedenen Länder die Agenda annehmen, welche am besten ihre Interessen und Prioritäten darstellte. Wir MUN-Neulinge waren überrascht zu sehen, wie lange dieses Verfahren dauerte. Es beanspruchte die letzten 3-4 Stunden des ersten Sitzungstages. Wichtig ist bei solchen Konferenzen zwischen den formellen und informellen Sitzungsperioden zu unterscheiden. Während bei der ersten Art formelle Reden vor der gesamten Versammlung gehalten werden und dem Protokoll strickt Folge geleistet werden muss, besteht die zweite Art darin, dass die formelle Sitzungsperiode unterbrochen wird und sich die Delegierten untereinander treffen, diskutieren oder recherchieren können. Auch die Koffeinreserven werden in diesen Zeiträumen wieder aufgeladen. In diesen „Pausen“ konnten wir uns auch ein etwas genaueres Meinungsbild machen und schon mal auf Schnittmengen mit den Interessen anderer Staaten oder Staatenblocks schließen. So zeichneten sich schon mal die ersten „Allianzen“ ab, wie z.B. die Zusammenarbeit der asiatischen, der europäischen oder auch der nordischen Staaten. Der erste Sitzungstag endete damit, dass die anfängliche provisorische Agenda angenommen wurde und die „speaker´s list“ (die Liste der Reihenfolge der Redner) für das erste Thema „Threats to International Peace and Security Caused by Terrorist Acts“ eröffnet wurde. Da wir langsam dem Abend näherten, wurde beschlossen die Sitzung für den ersten Tag zu schließen. Am Abend endete noch mit einem gemeinsamen Abendessen im Hotel und Gesprächen mit anderen Delegationen.

Der zweite Tag (Samstag) startete sehr früh. Nach dem Frühstück machten wir uns auch sofort auf dem Weg zur Konferenzhalle, wo wir uns wieder unsere Plätze erkämpfen mussten. Wir machten da weiter, wo wir am vorherigen Tag aufgehört hatten und die ersten Reden zum Thema „Threats to International Peace and Security Caused by Terrorist Acts“ wurden gehalten. Spätergingen wir dann in die informelle Sitzungsperiode über und machten uns auf, um mit anderen Delegierten zu sprechen, ggf. gemeinsame Positionen zu finden und mögliche Perspektiven zur Zusammenarbeit zu erörtern. Ziemlich schnell zeichneten sich auch hier verschiedenen Länderblöcke ab, wie z.B. der asiatischen Länder, der westeuropäisch-nordamerikanischen Länder oder auch der kleinen europäischen Länder (um Belgien, den Niederlanden und Dänemark). Die verschiedenen Gruppen hatten auch verschiedene Herangehensweisen an die gestellte Problematik. Einige fokussierten sich auf die Schaffung von juristischen Rahmen zur Terrorismusbekämpfung, andere beschäftigten sich mit der Unterbindung der Terrorismusfinanzierung und wiederum andere versuchten eine kohärente Gesamtlösung zu finden. So wechselten die Diskussionen von formellen zu informellen und währenddessen wurde an den s.g. „Working Paper“ (Rohfassungen von Resolutionsentwürfen) gearbeitet. Jeder Länderblock entwickelte ein eigenständiges „working paper“, das bestimmten Formalien entsprechen muss. In den formellen Sitzungsperioden hielten auch einige von unseren Delegierten Reden vor dem ganzen Komitee. Die Diskussionen zu den „working paper“ dauerten auch während des Abendessens an, was keinen zu stören schien. Der Abend endete in der Bar „Cinecitta“, wo die Delegierten in entspannter Atmosphäre weiterdiskutieren, networken oder einfach nur den Abend genießen konnten.

Der dritte und letzte Tag der Konferenz fing wieder früh morgens an. Nach einem üppigen Frühstück machten wir uns auf, um uns die besten Plätze zu sichern (die Parallelen zum Klischee der übereifrigen Deutschen, die früh morgens alle Badeliegen mit Strandtüchern besetzen, war offensichtlich). Wir werkelten weiter an den „working paper“, während im Saal weiterhin Reden gehalten wurden. Es fanden intensive Absprachen zwischen den Länderblocks statt, in denen die jeweiligen Positionen erörtert und Vereinbarungen zur gegenseitigen Unterstützung getroffen wurden. Im Laufe des Tages gaben wir unsere „working paper“ den Veranstaltern ab, die darüber entschieden welche „working paper“ als „draft resolutions“ (Resolutionsentwurf über den abgestimmt wird) akzeptiert wurden. Dafür prüften sie, ob gewisse Formalien erfüllt waren und ob die sprachlichen Formulierungen angemessen waren. So wurden im Laufe des Tages mehrere Resolutionsentwürfe angenommen, die jeweils von den verschiedenen Länderblocks erarbeitet wurden. Darunter waren auch Resolutionen, an denen Delegationen unserer Schule beteiligt waren. Um als vollwertige Resolution zu gelten, mussten die „draft resolutions“ erstmal genug Zustimmung in dem Komitee finden. Während der Abstimmung konnten noch „Amendements“ (Zusatzartikel oder auch Änderungen am Text) eingebracht werden. Im darauffolgenden Wahlprozess wurden fünf Resolutionen angenommen und zwei abgelehnt. Dies beendete auch die Diskussionen zum ersten Thema und das Komitee ging automatisch zum nächsten über. Da allerdings die Zeit nicht reichte, um ein zusätzliches Thema vollständig erörtern und bearbeiten zu können, wurde dies auf die nächstjährige Sitzung vertagt, was die gesamte Konferenz beendete. Abschließend wurden in einer Schlusszeremonie mehrere Delegationen für ihre erbrachte Leistung geehrt, darunter auch Nikolay (Klasse 12) und Maximilian (Klasse 10), die mit dem Preis „Herausragende Delegation“ gewürdigt wurden. Somit fand unsere erste MUN-Konferenz ein offizielles Ende. Am Abend feierten wir unsere erfolgreiche Teilnahme im berühmten Burger-Haus „Hans im Glück“ und hatten nochmals einen kleinen, aber spaßigen Exkurs zum Thema deutsche „Kneipen-Kultur“.

Den nächsten Morgen nutzten wir, um noch einige Einkäufe zu machen, einen Kaffee zu trinken oder einfach nur um zu relaxen. Wir bedankten uns nochmals bei unseren „Faculty Advisors“ (an diesem Tag nur Herr Opitz, da Herr Braun schon früh morgens losmusste) und machten uns auf zum Flughafen. So endete unser erstes MUN-Erlebnis.

Im Nachhinein erwiesen sich unsere anfänglichen Sorgen und Ängste als unbegründet. Man findet schnell Gefallen am Diskutieren, Recherchieren und auch an der sozialen Komponente des Projekts. Wir hatten die Gelegenheit aufgeschlossene, interessante und nette Leute zu treffen und uns an etwas zu beteiligen, das allen Teilnehmern sichtlich Spaß machte. Alles in allen, hatten wir eine tolle Zeit in Nürnberg. Vom Erfahrungsgewinn mal abgesehen, konnten wir auch ein wirkliches Gemeinschaftsgefühl entwickeln und auch an den Schwierigkeiten, mit denen wir uns konfrontiert sahen, wachsen. Daher können wir alle das MUN-Projekt nur weiterempfehlen und wir freuen uns schon auf unseren nächsten Einsatz.